Montag, 20. Februar 2012

"Slice of Life" - 2. Kurswoche

In Kürze erwarte ich das Mail mit der Anleitung zur dritten Wochenlektion des "Slice of Life"-Workshops. Gleich mal vorweg: Ich bin immer noch begeistert darüber, dass er mein Foto-Kreativitätsjahr einläutet, denn ich lerne hier ganz Grundlegendes, nämlich bewusstes Wahrnehmen und Schauen überhaupt. Darauf aufbauend und parallel dazu geht es um das Suchen beziehungsweise Sehen von Motiven und das Schulen des künstlerischen Blicks.
Bei der "Blick-Schulung" ging es letzte Woche darum, unser Motiv zu einem Bild zu komponieren. Wir sollten uns bei der Bildkomposition bewusst fragen: Was will ich auf dem Bild haben, was nicht? Was kommt in den Rahmen, was bleibt draussen? Bei der Aufnahme bedeutet das zum Beispiel ein- oder auszoomen (bzw. bei Festbrennweiten die Distanz zum Motiv verändern), mit der Tiefenschärfe spielen und die Körperstellung verändern, um einen anderen Standpunkt einzunehmen. Bei der anschliessenden Bildbearbeitung betrifft das das Ausschneiden. Wir sollten Details anpeilen oder aber das grosse Ganze abbilden, je nach dem. Vor allem sollten wir das alles ganz bewusst entscheiden, immer ausgehend von der allerersten Frage: Was ist mir hier wichtig? Warum fotografiere ich das? Das ist für mich die grösste Herausforderung überhaupt, mir diese Frage zu stellen, bevor ich überhaupt an Bildausschnitt und -komposition denke. "What matters to me?" ist ab jetzt mein Mantra beim Fotografieren, bei der Bildbearbeitung und beim Kommentieren der Fotos meiner Kurskolleginnen auf Flickr.
Was die Motivsuche betrifft, lag der Fokus diesmal bei "Ritualen und Routine". Das Thema hat mich nicht nur im fotografischen Sinn ziemlich beschäftigt. Was ist der Unterschied zwischen Ritualen und Routine? Beide bestehen aus Wiederholungen, Gewohnheiten. Doch erstere empfinde ich als erbauend und schön, währenddem Routine bei mir teilweise als nützlich rüberkommt, teilweise aber auch als öd und langweilig. Ich war überrascht, wie viele kleine, schöne Rituale ich in meiner Freizeit und zu Hause habe, von der besinnlichen Frühstücks-Halbstunde bei Kerzenlicht bis hin zum Sonntags-Spaziergang im Wald. Alle geben mir Kraft und Freude und steigern meinen Energiepegel. Dagegen habe ich an meiner Arbeitsstelle, wo ich doch den grössten Teil des Tages verbringe, ein einziges Ritual gefunden. Überhaupt wurde mir bewusst, wie hässlich die ganze Umgebung ist, wo ich arbeite. Von den Schreibtischen, der Einrichtung und unserem Büro über den gesamten Gebäudekomplex, die nähere und weitere Umgebung: alles ist hässlich, beige-grau, schmuddelig, laut, zubetoniert, irgendwie "unmenschlich" und tötelig. Bezeichnenderweise sieht man auf den Strassen, den Schienen und in der Luft auch jede Form von Verkehrsmittel, aber kaum Menschen.
Das hat mir dann doch sehr zu denken gegeben. Soll ich versuchen, etwas mehr Schönheit reinzubringen in Form einer bunten Kaffeetasse? Oder mich auf das Hässliche und Schmutzige als "interessante, ungewöhnliche" Bildmotive konzentrieren, anstatt die Schönheit im klassischen Sinn zu suchen? Das war der Tipp der Kursleiterin Darrah. Sie selber hat früher ihr Mittagessen jeweils schnell runtergeschlungen und ist anschliessend über Mittag fotografieren gegangen, was ihr "das Leben gerettet hat", wie sie schreibt. Vielleicht entwickeln sich im Frühling automatisch wieder ein paar Rituale, wenn ich draussen mittagessen kann. Andere gehen spazieren. Oder rauchen vor der Türe, mit Blick auf die graue Gebäudewand und den Parkplatz. "Wir sind keine Wohlfühloase", kommt mir in den Sinn. Doch wie produktiv ist ein Angestellter, wenn er sich in seiner Umgebung nicht wohlfühlt? Geht nicht schon ein Teil der Energie flöten, weil er sie für das Ausblenden des Hässlichen und Unangenehmen braucht?



Der Rest meiner "Rituale und Routine"-Fotos ist auf meiner Flickr-Seite. Jetzt bin ich mal gespannt, was mich in der dritten Kurswoche erwartet...

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